Diskussion in „Der Bund“: «Es darf keinen Heimatschutz für städtische Kitas mehr geben»
Beeinträchtigt der freie Markt für Kitas die Betreuungsqualität? – Zwei grüne Stadträtinnen im Clinch.
Das folgende Gespräch stand am Donnerstag, 5. Juli im Bund. Christina Anliker (GB) und Rania Bahnan (GFL) diskutieren über die externe Kinderbetreuung und das Gutscheinsystem.
Frau Anliker Mansour, sind Sie eine schlechte Abstimmungsverliererin?
Cristina Anliker Mansour: Nein, ich kann das Ja zum Gutscheinsystem bei der Finanzierung von Kita-Plätzen akzeptieren. Aber vor der Abstimmung hat man versprochen, dass Eltern einen Kita-Platz zu tragbaren Tarifen erhalten. Die Anträge der vorberatenden Kommission zum Betreuungsreglement führen nun aber zu höheren Kita-Tarifen für sozial benachteiligte Eltern.
Aber mit dem Wechsel zum Gutscheinsystem hat sich das Volk doch für mehr Markt ausgesprochen.
Anliker Mansour: Wenn private Kitas günstigere Plätze auch mit Qualität anbieten können, werden sie dies tun können.
Rhania Bahnan Büchi: Bei der bisherigen Kita-Finanzierung wurde die soziale Dringlichkeit überbewertet. Kitas sollten aber in erster Linie für erwerbstätige Eltern zur Verfügung stehen. Es kann geben wir dem Gutscheinsystem nicht wirklich eine Chance. Überflüssige Regulierungen verteuern zudem die Leistungen. Die befürchteten Luxus-Kitas wird es sicher nicht geben. Die Richtlinien zur Qualität und zu den Arbeitsbedingungen der Angestellten bleiben dieselben. Die Eltern werden einfach diejenige Kita suchen, die ihren Bedürfnissen am ehesten entspricht.
Anliker Mansour: Zurzeit gibt es über 1000 Kinder, die auf einen Kita-Platz warten. Wenn die Nachfrage das Angebot übersteigt, steigen die Tarife. Zudem wird die Stadt das Angebot nicht mehr steuern können. Es wird Kitas für Reiche und für Arme geben.
Bahnan Büchi: Da bin ich völlig anderer Meinung. Das Kriterium der sozialen Dringlichkeit für einen subventionierten Kita-Platz bleibt ja bestehen. Mittelfristig wird sich das Angebot nach der Nachfrage richten.
Könnte es bei freien Tarifen nicht zu Lohndumping kommen, da die Kitas defizitär sind?
Anliker Mansour: Genau das wird passieren. Mit der Streichung der Defizitgarantie für städtische Kitas will man diese letztlich abschaffen. Die städtischen Kitas mögen teurer sein. Sie nehmen aber mehr sozial dringliche Fälle auf. Für ein Kind aus einem sozial belasteten Milieu braucht es mehr Betreuungsaufwand. Die städtischen Kitas haben zudem 40-Stunden-Woche und bieten Arbeitsplätze für ältere Mitarbeitende und nicht nur für Praktikantinnen.
Bahnan Büchi: Wir wollen auch faire Arbeitsbedingungen. Es darf aber keinen Heimatschutz für städtische Kitas mehr geben.
Frau Anliker, was haben Sie gegen gleich lange Spiesse für öffentliche und private Kitas?
Anliker Mansour: Es geht nicht darum. Es geht um eine qualitativ gute Betreuung auch für sozial dringliche Fälle.
Bahnan Büchi: Mit der Defizitgarantie für städtische Kitas alleine grenzt ihr eine grosse Anzahl von Kita-Anbietern aus, die sich auch an die Richtlinien des Verbandes und die kantonalen Qualitätsstandards halten. Wenn alle Anbieter dieselben finanziellen Voraussetzungen hätten, würden auch private Kitas mehrsozial dringliche Fälle aufnehmen können.
Was spricht denn dagegen, die Defizitgarantie für städtische Kitas abzuschaffen?
Anliker Mansour: Die Mitte-Rechts-Parteien haben im Grossen Rat bereits eine Revision der massgeblichen kantonalen Verordnung gefordert. Wer garantiert uns, dass die Qualitätskriterien auch danach noch gelten? Niemand.
Bahnan Büchi: Mich stört es, wenn mit Ängsten gearbeitet wird. Rechtlich gesehen können Gutscheine ja nur in Kitas eingelöst werden, die sich an die kantonalen Vorgaben halten.
Anliker Mansour: In den letzten Jahren gab es einen massiven Abbau an Qualität. Die Gruppen wurden auch in städtischen Kitas grösser. Wenn der Markt frei ist, muss ich meinen Gutschein ja nicht in einer Kita mit schlechtem Betreuungsverhältnis einlösen. Anliker Mansour: Sie werden für zusätzliche Angebote mehr bezahlen müssen.
Bahnan Büchi: Die Tarife richten sich weiterhin nach dem Einkommen. Was spricht eigentlich dagegen, dass auch städtische Kitas sich Effizienzüberlegungen machen müssen?
Anliker Mansour: Diese Überlegungen machen sich die Kitas seit je. Aber wollen wir Ausbildungsplätze abbauen?
Bahnan Büchi: Auch private Kitas sind verpflichtet, Ausbildungsplätze anzubieten. Sie schliessen ja eine ganze Gruppe von Anbietern von der staatlichen Defizitgarantie aus. Und unterstellen den Privat-Kitas, dass sie soziale Dringlichkeit nicht berücksichtigen. Das ist skandalös. Ihr seid nicht bereit, nach Lösungen zu suchen, ihr blockiert nur.
Anliker Mansour: Wir wollen eine gute Betreuung für die Kinder.
Bahnan Büchi: Wir auch. Die Idee mit den Betreuungsgutscheinen ist ursprünglich ja gar keine bürgerliche Idee. Aber es geht gar nicht darum. Es geht um ein kundenorientiertes, effizientes System, das niemanden ausgrenzt und das bezahlbar für alle ist.
Frau Anliker, wie ernst ist es Ihnen mit dem angedrohten Referendum?
Anliker Mansour: Uns ist es sehr ernst. Eine Liberalisierung der Tarife und eine Streichung der Defizitgarantie für Kitas werden wir nicht akzeptieren.
Sie gehören beide der Grünen Partei Kanton Bern an. Was verbindet Sie überhaupt in diesem Bereich?
Bahnan Büchi: Bei den Zielen stimmen wir meist überein. Die GFL ist aber nicht für ein starkes staatliches Korsett. Für uns sind private Kitas und Wettbewerb unter den Kitas nicht per se schlecht.
Anliker Mansour: Ich will eine grüne, soziale Politik. Ich glaube an die Chancengleichheit und an Bildung für alle.