Als ich 1986 in das Junge Bern eintrat, war Marc Wehrlin der Kopf und das Herz der Partei. Die Generation der Gründer*innen des Jungen Bern aus den 50er bis 70er Jahren war auf dem Rückzug, im Hintergrund wirkten immer noch die Erinnerungen an unseren legendären Gemeinderat Klaus Schaedelin („Mein Name ist Eugen“) nach. Joy Matter verkörperte als einzige Grossrätin (1978-1988) die Erinnerung an diese Gründungsgeneration, der auch Mani Matter angehört hatte, ab 1989 dann als Gemeinderätin (bis 1996). Rund um Marc Wehrlin und Niklaus Ludi, später Ueli Gruner, Anne und Ueli Aebi hatte sich ein neuer Kreis gebildet. Das Junge Bern war immer eine kleine, nonkonformistische Gruppe, anfangs der 80er Jahre prägten neben Joy Niklaus Ludi (Stadtrat 1972-1984) und Marc Wehrlin (Stadtrat 1977-1986) die Parteilinie. Während Niklaus neue Pfade in der Bildungspolitik vorspurte und diese später als Direktor der Berufsfachschule BFF auch umsetzte, widmete sich Marc als Anwalt der gesellschaftspolitischen Öffnung nach 1968. Als Präsident der Stiftung Contact kämpfte er beispielsweise für die Gassenarbeit für Drogenabhängige und deren gesundheitliche Stabilisierung und gesellschaftliche Integration; das Contact spurte damals in Bern das neue Viersäulenmodell in der Drogenpolitik für die Schweiz vor. In jener Zeit lancierte das Junge Bern auch eine Aktion mit frei in der Stadt aufgestellten, grasgrün angemalten Stadtvelos zur freien Benützung, über 30 Jahre vor Publibike. Später initiierte die Partei ein Baumschutzreglement für Bern.

Marc war Anwalt mit eigener Kanzlei an der Schwarztorstrasse, praktischerweise fanden die Fraktionssitzungen, an denen ich als junger juristischer Berater teilnahm, in seinem Büro statt. Marc wurde dann bald für das Junge Bern in den Grossen Rat (1986-1995) gewählt, wir durften aber bei ihm im Büro zu Gast bleiben. Das war praktisch, aber dank der vielen Kunst an den Wänden auch inspirierend, ich erinnere mich vor allem an die Mumprechtbilder.

Als der damals neben Joy einzige Kantonsparlamentarier für das rein lokal aktive Junge Bern blieb Marc für die Partei prägend, er wurde unmittelbar nach dem Finanzskandal 1986 in den Grossen Rat gewählt, und erlebte somit die erste Legislatur mit einer rotgrünen Regierungsmehrheit im Kanton Bern mit. Als Jurist und erfahrener Parlamentarier konnte er die 12 auf einen Schlag gewählten, unerfahrenen neuen Grossrätinnen und Grossräte der Freien Liste anleiten; er leitete mit dieser Zusammenarbeit auch die Fusion des traditionellen Jungen Bern mit den frischen Kräften der Freien Liste zu JBFL, später zur heutigen GFL ein.

Etwa 1989 fand Marc, wir müssten wieder mal eine neue Idee anreissen, a new big thing. Ungenügend und unbefriedigend sei die Zusammenarbeit der Gemeinden in der Stadtregion Bern. Unter Marcs inspirierender Führung entwickelten Lilo Lauterburg, Marlise Hubschmied, Peter Künzler, ein paar weitere und ich ein Modell für einen „multifunktionalen, demokratischen Gemeindeverband“, ein neues Zusammenarbeitsmodell für die Stadtregion Bern. Unter dem programmatischen Titel „zämebärn“ versuchten wir, die Lokalpolitik an mehreren Landsgemeinden zu einer besseren Zusammenarbeit zu motivieren. Das Projekt versandete, die Ideen lebten indessen weiter und führten später zum Projekt „Bern neu gründen“. „zämebärn“ war auch eine Vorläuferidee für die spätere Gründung der Regionalkonferenz Bern-Mittelland.
Im Projekt zämebärn wie auch sonst beeindruckte Marc uns alle mit seinem Scharfsinn, seinem Schalk, seiner Originalität. Das Bild Marcs bliebe jedoch unvollständig ohne seinen wichtigsten Wesenszug: seine einnehmende Liebenswürdigkeit

Neben der Politik verlagerte Marc Wehrlin seine juristische Praxis mehr und mehr in den Bereich des Urheberrechts, der Urheberrechtsverwertung und vor allem des Filmgeschäfts. Nachdem er an der Gründung der Suissimage, der Urheberrechtsgesellschaft für audiovisuelle Werke beteiligt war, gab er 1995 seine Anwaltstätigkeit auf, um als Filmchef ins Bundesamt für Kultur einzutreten und sich fortan voll der Filmpolitik zu widmen, auch dies tat er ebenso ernsthaft, engagiert und inspiriert. Seine definitive Zuwendung zur Filmpolitik bedeutete auch ein Abschied von der kantonalen und Lokalpolitik. Dem Film blieb er zeitlebens verbunden. Nach seiner Pensionierung kehrte er als Präsident der Sektion Bern des Heimatschutzes noch einmal in die lokale Verbandspolitik zurück. Ende Januar ist Marc Wehrlin im Alter von 73 Jahren an den Folgen eines Herzinfarkts gestorben. Nachdem er schon lange verwitwet war, hinterlässt er seine langjährige Partnerin Brigitte und die Familien seiner beiden erwachsenen Söhne.

Die heutige GFL und das frühere Junge Bern verlieren mit Marc Wehrlin einen ihrer hellsten und brillantesten Köpfe, und ich selber meinen politischen Lehrer und ein wichtiges Vorbild. Den Hinterbliebenen entbieten wir unser tiefes, herzliches Beileid.
Alec von Graffenried