Dringliches interfraktionelles Postulat GFL/EVP, GB/JA!, GLP/JGLP (Marcel Wüthrich, GFL / Katharina Gallizzi, GB / Gabriela Blatter, GLP)

Am 24. Februar 2022 startete Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Damit sind auch geopolitische Strategien und Abhängigkeiten von Rohstoffen, die von autokratisch regierten Ländern verwaltet werden, für Europa in den Fokus gerückt. Diese Abhängigkeiten decken auf, dass verschiedene Lieferketten grundlegendsten Prinzipien der Nachhaltigkeit widersprechen. Ab sofort muss damit gerechnet werden, dass mit den Geldern, die an autokratische Regimes fliessen, offensichtlich – wie im vorliegenden Fall – sogar Kriege gegen souveräne Staaten und ihre Zivilbevölkerung finanziert werden.

Überdies sind diverse Rohstoffe problematisch in Bezug auf ihren ökologischen Fussabdruck und ihre Auswirkungen auf die globale Klimaerwärmung. Dies gilt in besonderem Masse auch für Erdgas: Werden die Verluste bei der Erschliessung und in den Pipelines eingerechnet, dürfte Erdgas in Sachen Klimabilanz kaum mehr besser als Öl sein. Auch sieht die Energiestrategie 2050 des Bundes die Dekarbonisierung und somit keine Rolle für fossile Energieträger im Wärmebereich mehr vor. Die Beimischung von Biogas macht schweizweit nur 2% des gesamten Gasverbrauchs bzw. 7% im Wärmebereich aus. Gemäss den Zielvorgaben der Schweizerischen Gasindustrie sollen bis 2030 lediglich 30% des Gasverbrauchs im Wärmebereich über Biogas abgedeckt werden. Die Stadt Bern wird also gemäss bisheriger Planung auch 2030 noch von substantiellen Erdgasimporten abhängig sein und erhebliche Treibhausgasemissionen über ihren Gasendverbrauch generieren.

ewb verwendet die Gewinne aus dem Verkauf von Gas heute u.a. zur Querfinanzierung der Energiewende, insbesondere im Fernwärmenetz. Durch den sinkenden Gasabsatz – bedingt u.a. durch verbesserte Wärmeisolation der Gebäude – wird diese Sparte aber je länger je weniger rentabel werden. Weil auch synthetisches Gas («SynFuels») oder Wasserstoff – die von einigen wegen ihrer hohen Energiedichte als Zukunftstechnologien ausserhalb der Wärmeerzeugung bezeichnet werden – nicht in genügender Menge hergestellt werden können oder zur Wärmeerzeugung aus Effizienzgründen ungeeignet sind, kommt gemäss verschiedenen Energiefachleuten auch eine Umnutzung des Gasnetzes kaum in Frage. Es ist absehbar, dass das Gasnetz in der heutigen Form obsolet wird. Zwei städtische Energieversorgungsnetze (Strom und Fernwärme) werden mittel- und langfristig ausreichend sein müssen.

Gemäss dem Bundesamt für Energie (BFE) lag der Gasendverbrauch der Schweiz 2018 bei rund 31 TWh, was einem Anteil von 13.5% des gesamten Endenergieverbrauchs entspricht. Laut dem Verband der Schweizerischen Gasindustrie wurden 47% davon über Gasimporte aus Russland abgedeckt. Auch in der Stadt Bern ist der Gasverbrauch immer noch relativ hoch, während andere Schweizer Städte wie Basel , Zürich oder Winterthur ihr Gasnetz rückbauen wollen.

Es ist aus all diesen Gründen angezeigt, dass auch die Stadt Bern eine Ausstiegsstrategie aus dem Erdgas beschliesst und diese in der ewb-Eignerstrategie verankert.

Der Gemeinderat und ewb werden eingeladen, unter Berücksichtigung der Versorgungssicherheit und der Wirtschaftlichkeit, für die Stadt Bern und die Gemeinden in ihrem Einzugsgebiet eine Ausstiegsstrategie aus Erdgas vorzulegen, diese in der ewb-Eignerstrategie zu verankern und einzelne Eckpunkte zu terminieren, evtl. mit Zwischenzielen. Die Erkenntnisse sollen auch in die Energie- und Klimastrategie 2025-2035 einfliessen. Insbesondere sind die folgenden Ideen zu prüfen:

  • Annahmestopp von Neukunden;
  • Investitionsstopp ins Gasnetz (Ausnahme: dringende Ersatzsanierungen);
  • Kontakte zu den Erdgasverbänden: Verzicht auf lobbyistische Tätigkeiten und Beschränkung auf das betrieblich Notwendige;
  • Mindestens kostendeckende Gaspreise unter Einrechnung der externen Kosten (insbesondere auch der Klimafolgekosten) wie auch für die Fernwärme, unter Berücksichtigung von sozialverträglichen Aspekten;
  • Übernahme der Abtrennungskosten vom Gasnetz für Liegenschaften, die ihre Gasheizung durch eine mit erneuerbarer Energie betriebene Anlage ersetzen;
  • Gezielte Unterstützung der städtischen Bemühungen des Ausbaus der energetischen Gebäudesanierungen (Ziel: Gebäudesanierungsquote von 3% pro Jahr) und weiterer Energiesparmassnahmen;
  • Ersatz des Erdgases durch erneuerbare Energieträger;
  • Verstärkte Zusammenarbeit mit weiteren Lieferanten von erneuerbarer Energie (z.B. Photovoltaik im Alpenraum) und zum Aufbau von Speicher- und Netzkapazitäten zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit (saisonale Unterschiede);
  • Physischer Rückbau des Gasnetzes.

Begründung der Dringlichkeit: Die Erfüllung dieses Postulats wird wichtige Grundlagen für die neue Energie- und Klimastrategie und -politik der Stadt Bern liefern und ist damit eine wichtige Voraussetzung für die weitere kurzfristige politische Arbeit des Stadtrats und des Gemeinderats. Auf Grund der aktuellen geopolitischen Lage, insbesondere dem kriegerischen Konflikt in der Ukraine, ist die Neuausrichtung des städtischen Gasnetzes dringender denn je. Es besteht die Problematik der Kriegsfinanzierung und der akuten Versorgungssicherheit.