Vergangene Woche ist Joy Matter einen Tag nach ihrem 90. Geburtstag gestorben, nach einer längeren Krankheit. Joy Matter war bereits seit Jahrzehnten politisch aktiv gewesen, als ich 1986 dem Jungen Bern beitrat. Sie folgte ihrem Mann Mani Matter in den 60er Jahren ins Junge Bern, die nonkonformistische Oppositionspartei in Bern, damals noch ohne Frauenstimmrecht, was wir uns heute fast nicht mehr vorstellen können. Kein Stimmrecht zu haben passt zu niemandem, aber besonders nicht zu Joy, die eine starke Frau mit einer ebenso klaren Stimme und einer klaren Linie war. Das Junge Bern stellte damals die Fragen, die den etablierten Parteien nicht einfielen, und schnitt alte Zöpfe ab, zum Beispiel indem es 1959 die Amtszeitbeschränkung für den Stadt- und Gemeinderat via Volksinitiative gegen das Establishment durchsetzte. Während Mani als Gründungsmitglied des Jungen Bern zeitlebens in der Partei Themen setzte, wirkte Joy in den ersten Jahren politisch mehr im Hintergrund. Das lag nicht nur am fehlenden Stimmrecht, sondern auch an ihrer Doppelbelastung als Lehrerin und Familienfrau. Mani war nach ihren Aussagen kein Hausmann, die Hausarbeit blieb an ihr allein hängen. Andererseits war es für sie auch immer klar, dass sie ihren Lehrerinnenberuf, den sie mit grosser Begeisterung ausübte, nie aufgeben wollte. Die Belastung nahm nach dem Tod Manis 1972 für Joy als alleinerziehende Mutter von drei kleinen Kindern und Berufsfrau noch zu. 1978 stellte sie sich erstmals einer politischen Wahl als Grossrätin und eroberte prompt für das Junge Bern einen zweiten Sitz neben dem Inseldirektor Fritz Leu. Ihren persönlichen Neigungen und Interessen entsprechend widmete sich Joy der Bildungspolitik, aber auch der Siedlungsentwicklung, einem Kernanliegen des Jungen Bern. Sie konnte aber beispielsweise auch die Einführung einer Gleichstellungsfachstelle erwirken. Als Mitglied einer Kleinstpartei musste sich Joy im Grossen Rat behaupten, was ihr aber kaum schwer fiel. Ab 1984 erschütterte die Finanzaffäre den Kanton Bern, Joy konnte als damals bereits erfahrene Grossrätin bei der Aufarbeitung mitwirken. 1986 fegte eine rotgrüne Regierungsmehrheit mit einem Erdrutschsieg die kritisierte bürgerliche Regierung weg, im Grossen Rat konnte Joy die durch die neu gegründete Freie Liste stark angewachsene grüne Fraktion einführen. Die neue Erziehungsdirektorin Leni Robert konnte sich bei der Umsetzung der Bildungsreformen auf Joys Vorarbeiten im Grossen Rat abstützen.

Obwohl seit langem in Wabern an der Weidenaustrasse wohnhaft, wandte sich Joy 1988 der Stadtpolitik zu und kandidierte für den Gemeinderat. Die in den Jahren des bürgerlichen «Vierer mit» (drei Mitglieder des Gemeinderats plus Stadtpräsident) stark polarisierte Stadtpolitik beschäftigte Joy. Sie zog ein System mit drei bürgerlichen und drei linken Exekutivmitgliedern vor, in dem ein Mitglied des Jungen Bern das Zünglein an der Waage spielen konnte, wie es Klaus Schädelin seit den 60er Jahren während mehrerer Legislaturen praktiziert hatte. Joy wurde auf Anhieb in den Gemeinderat gewählt, was den definitiven Umzug in die Stadt nötig machte. In der Schuldirektion konnte sich Joy mit ihren bevorzugten Bildungsfragen befassen. Dank den Reformen auf kantonaler Ebene zu jener Zeit konnte sie auch die Stadtberner Schulen nach ihren Vorstellungen modernisieren. Wie heute beschäftigten sie bereits damals stark die Fragen nach einer Verbesserung der Tagesbetreuung und nach integrativen Schulmodellen, die sie zeitlebens stark beschäftigten. Nach dem Wechsel der Regierungsmehrheit im Kanton war Joy auch beim Wechsel der Regierungsmehrheit in der Stadtregierung dabei, diesmal als Mitglied der Stadtregierung. Während sie in der ersten Legislatur noch oft in der Minderheit verblieb, war sie beim Start der Rot-Grün-Mitte Mehrheit 1993 als erfahrene Schuldirektorin dabei. Die Gleichstellungspolitikerin Joy freute dabei besonders, dass sie in der ersten Stadtregierung mit Frauenmehrheit mitwirken konnte. 

Die Gleichstellungspolitikerin Joy freute dabei besonders, dass sie in der ersten Stadtregierung mit Frauenmehrheit mitwirken konnte. Nach 8 Jahren und mit 61 Jahren trat Joy nicht mehr zur Wiederwahl an. Nach ihrer Pensionierung engagierte sich Joy in vielfältiger Weise in ihren Themen weiter, beispielsweise als Präsidentin der Gertrud Kurz Stiftung. Ebenfalls am Herzen lag ihr der Nachlass von Mani, den sie seit seinem Tod betreute, aufarbeitete, pflegte und einen grossen Teil ins Schweizer Literaturarchiv überführte. Sie freute sich über die grosse Verbreitung der Lieder und Gedanken Manis, auch über zahlreiche Covers und Interpretationen. Stets achtete sie bei der Betreuung der Urheberrechte auch auf die Wahrung der Qualität, wie sie ihr vorschwebte. Ihre grössere Freizeit erlaubte ihr auch Reisen und den Besuch von Kulturveranstaltungen. So habe ich sie immer wieder angetroffen, im Theater, in der Dampfzentrale oder zuletzt Ende August am Symphoniekonzert auf dem Bundesplatz, an dem sie nach einem Spitalaufenthalt bei besserer Gesundheit noch teilnehmen konnte. Im September verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand, worauf sie einen Tag nach ihrem 90. Geburtstag am 8. Oktober verstarb. Wir werden Joy als starke Frau und prägende Politikerin an der Zeitenwende in Erinnerung behalten.

Alec von Graffenried